Kriminalwissenschaftliches Institut Forschung
Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen (FAiLGuard)

Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen (FAiLGuard)

Leitung:  Prof. Dr. Bernd-Dieter Meier
Team:  Andreas David Peikert (Wissenschaftlicher Mitarbeiter), Juliane Gutkess, Johanna Schierholt (Studentische Hilfskräfte)
Jahr:  2017
Förderung:  Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Laufzeit:  07/2017 bis 12/2018
Ist abgeschlossen:  ja

Das Projekt: FAiLGuard

Erwachsene Menschen, die wegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage sind ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, können in Deutschland einen rechtlichen Betreuer zur Seite gestellt bekommen (§ 1896 BGB). Dieser soll die betroffenen Menschen u.a. bei Fragen, die das Vermögen betreffen, unterstützen, Rechtsgeschäfte abschließen und sie gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Übertragung der Vermögenssorge auf den Betreuer kann dabei für den Betreuten ein Risiko bergen. Die besonderen Zugriffsmöglichkeiten auf die finanziellen Angelegenheiten des Betreuten ermöglichen es den bestellten Betreuern zwar einerseits, den Betroffenen direkt zu helfen, sie schaffen andererseits aber auch eine besondere Machtposition, die ein Betreuer ausnutzen kann, um sich persönlich zu bereichern. Fälle, in denen ein Betreuer unter Ausnutzung seiner privilegierten Stellung das Vermögen des Betreuten veruntreut, erhalten typischerweise eine hohe mediale Aufmerksamkeit. Über die Häufigkeit und Höhe der tatsächlich angerichteten Vermögensschäden, über die typischen Risikosituationen, aber vor allem auch über die Tätigkeit und Effektivität der im Gesetz vorgesehenen Kontrollmechanismen ist in der Kriminologie demgegenüber nur wenig bekannt.

Forschungsziele

Das vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz geförderte Projekt „Vermögenskriminalität bei rechtlicher Betreuung (Financial Abuse in Legal Guardianship, FAiLGuard)“ wurde von der Leibniz Universität Hannover - Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie - gemeinsam mit der Deutschen Hochschule der Polizei - Prof. Dr. Görgen, Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention - durchgeführt. Die Untersuchung verfolgte zwei Ziele: Zum einen sollten die strafrechtlich relevanten Risikolagen identifiziert werden, die es bei der Vermögenssorge gibt, und zum anderen sollten die Kontrollprozesse bei den Betreuungsgerichten und -behörden in den Blick genommen und auf ihre Eignung zur Verhinderung von Vermögensstraftaten hin überprüft werden.

Methoden

Die Forschungsgruppe wählte zwei methodische Ansätze, um diesen Fragen nachzugehen: eine Aktenanalyse und leitfadengestützte Interviews. Da sowohl die Strafjustiz als auch die Betreuungsgerichtsbarkeit und die Betreuungsbehörden mit Akten arbeiten, sollten mit der Aktenanalyse die gerichtlichen bzw. behördlichen Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse sowie die ihnen jeweils zu Grunde liegenden Voraussetzungen sichtbar gemacht werden. Mit den Interviews sollten zusätzliche Informationen über die aus den Akten nicht ableitbaren Beobachtungen, über die Einschätzungen zur Relevanz einzelner Problemlagen und die hieraus zu ziehenden kriminal- und rechtspolitischen Schlussfolgerungen erhoben und ausgewertet werden. Der von der LUH verantwortete aktenanalytische Teil der Untersuchung basiert auf der Auswertung von 27 Strafverfahrensakten, 224 Betreuungsgerichtsakten und 33 Betreuungsbehördenakten.

Ergebnisse

Die Auswertung der Strafakten zeigte, dass Strafverfahren gegen Betreuer in der Regel wegen des Verdachts der Untreue (§ 266 StGB) durchgeführt werden; nur gelegentlich traten in der Stichprobe Betrug (§ 263 StGB) und Urkundenfälschung (§ 267 StGB) als Begleittaten auf, etwa weil ein Betreuer gefälschte Belege vorgelegt hatte. Die monetären Schadenshöhen der Taten waren breit gefächert. Der Median, d.h. die 50 %-Grenze des in den Akten festgestellten Schadens pro geschädigtem Betreuten, lag bei 4.869 €, das für Extremwerte anfälligere arithmetische Mittel bei 19.824 €. Zwei Formen der Tatbegehung waren immer wieder zu beobachten: Zum einen hatten die Täter vom Konto des Betreuten Barabhebungen vorgenommen, dem Betreuten das Geld oder die von dem Geld erworbenen Gegenstände aber nicht oder nicht in vollem Umfang ausgehändigt. Zum anderen hatten die Täter aus dem Vermögen des Betreuten Überweisungen vorgenommen, mit denen sie eigene Zwecke verfolgten, z.B. eigene Rechnungen beglichen. Im Hintergrund der Taten stand typischerweise eine finanzielle Krise des Betreuers, die durch familiäre bzw. eheliche, berufliche oder gesundheitliche Probleme ausgelöst worden war und zu deren Bewältigung der Zugriff auf das Vermögen des Betreuten als naheliegender Ausweg erschien.

Die Auswertung der Betreuungsgerichtsakten zeigte, dass die Kontrolle der eingesetzten Betreuer in der Praxis z.T. Schwächen aufweist. Von Rechts wegen sind die eingesetzten Betreuer nach Übernahme ihrer Tätigkeit zwar zur Erstellung eines Vermögensverzeichnisses verpflichtet (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, § 1802 BGB). Die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses wird nach den ausgewerteten Akten von den Gerichten jedoch nicht durchgängig eingefordert; nur in knapp 9 von 10 Fällen (87,5 %) war in den ausgewerteten Akten ein Vermögensverzeichnis enthalten. Von der Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung kann ein Betreuer nach dem geltenden Recht (§ 1908i Abs. 2 Satz 2, §§ 1857a, 1854 BGB) befreit werden. Die Betreuungsgerichte machen von den Befreiungsmöglichkeiten in auffällig weitem Umfang Gebrauch, wobei es in der Stichprobe Hinweise darauf gab, dass die Betreuer von der Pflicht zur Rechnungslegung vor allem an solchen Orten befreit wurden, in denen die Arbeitsbelastung der Gerichte besonders hoch war. Auch von der Pflicht zur Vorlage einer Schlussrechnung (§ 1908i Abs. 1 Satz 1, §§ 1890, 1892 BGB) wurden die Betreuer großzügig befreit, wobei aus den Akten nicht durchgängig erkennbar war, welchen Grund die Befreiung hatte.

Diskussion

Insgesamt fiel auf, dass das gelebte Recht z.T. erheblich vom geschriebenen Recht abweicht. Die Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Risiko der Begehung von Eigentums- und Vermögensdelikten zum Nachteil von Betreuten weniger ein Problem der materiellen Rechtslage als ein Problem des Gesetzesvollzugs – „law in action“ – ist. Für eine Veränderung der Rechtslage ließen sich aus den Ergebnissen damit nur wenige Handlungsempfehlungen ableiten. Hierzu gehörte die Empfehlung, die Eignung des Betreuers zur Vermögenssorge nicht nur zum Zeitpunkt der erstmaligen Bestellung (§ 1897 Abs. 7 Satz 1 BGB), sondern fortlaufend zu prüfen, etwa indem in regelmäßigen Abständen die Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses gefordert wird. Eine größere Rolle dürften für die Prävention Veränderungen auf der faktischen Ebene spielen, insbesondere eine Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Betreuungsgerichten und den Betreuungsbehörden durch einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch sowie die Abmilderung der Fallbelastung bei den Betreuungsgerichten und die Angleichung der regional sehr unterschiedlichen Personalausstattung.

Publikationen

  • Th. Görgen, B.-D. Meier, A. Peikert & J. Wegmann
    Betreut und betrogen? Ein Review zu Vermögensdelikten in rechtlichen Betreuungsverhältnissen. In: Rechtspsychologie 4 (2018), S. 254-268.
  • Th. Görgen, B.-D. Meier, A. Peikert & J. Wegmann
    Vermögensdelikte in Betreuungsverhältnissen. In: Betreuungsrechtliche Praxis 28 (2019), S. 175-179.
  • Th. Görgen, B.-D. Meier, M. Megler, A. Peikert & J. Wegmann
    Vermögensdelikte zum Nachteil betreuter Menschen. Kriminologische und rechtliche Analysen. Münster, 2020.